Der Sieger

In ikonographischer Hinsicht schwankt dieses Werk zwischen mehreren Gattungen: Historienmalerei, Allegorie und symbolistischer Gestaltung. Die verschiedenen Titel, die es erhalten hat - Die Rast und Der Sieger -, tragen noch zur Verwirrung bei. Eine eingehendere Analyse führt zu weiteren Überraschungen: Die Landschaft, die der geheimnisvollen Szene als Kulisse dient, beruht nicht auf Beobachtung, sondern ist eine Art Collage verschiedener Örtlichkeiten, die in Wirklichkeit ganz anders angeordnet sind als im Bild. Den Hintergrund nimmt der Hügel Tourbillon mit Blick ins Oberwallis ein, während die Burgschaft mit ihren Türmen und Schlössern eine genaue Wiedergabe von Leuk-Stadt darstellt. 
Den Vordergrund beherrscht die rätselhafte Reitergestalt auf dem prächtigen Grauschimmel. Der Mann ist gewappnet, aber barhaupt, denn er sammelt sich vor einem Grabe. Es mag das Grab der Eltern oder der Geliebten sein, die der Held verlassen hat, um in den Kampf zu ziehen und aus irgendeiner Schlacht ruhmbedeckt heimzukehren. Die Komposition zeichnet sich durch eine Fülle äusserst sorgfältig wiedergegebener Einzelheiten aus. Dieser realistische Zug verstärkt den Geheimnischarakter der Szene noch. 
Bille hatte Gelegenheit, das Thema des Ritters in seinen Illustrationen zu Sagen und seinen satirischen Zeichnungen wiederaufzunehmen. Man könnte sich deshalb mit dieser vordergründigen Deutung begnügen. Doch der Titel, den der Künstler dieser bedeutenden Komposition gab, als er sie 1906 an der Exposition municipale in Genf vorstellte – Die Rast -, legt die Vermutung nahe, dass er mehr beabsichtigte als die simple Darstellung einer mittelalterlichen Episode. 
Dieses grossformatige Bild setzt ausdrücklich Leben und Tod, Jugend und Alter, Kraft und Schwäche, Sieg und Niederlage in Kontrast. Über dem Ganzen liegen die eisige Atmosphäre und das kristallklare Licht eines frostigen Morgens. Ob Allegorie oder symbolistische Evokation – dieser schweigsame und feierliche Dialog ist vom Geheimnis des Todes umwittert. Dieses Thema kehrt in den grossen Kompositionen des jungen Bille mehrmals wieder, und jedesmal aktualisiert er seinen Vorwurf, indem er ihn in einen topographisch genau festlegbaren Kontext stellt. Das Walliser Brauchtum, das mit der Beziehung zum Jenseits zusammenhängt - von den liturgischen Zeremonien bis zu den Sagen, von den Legenden bis zu den eindrucksvollen Prozessionen -, stellt ein Erbe dar, aus dem die Maler immer wieder ihre Inspiration bezogen haben.
 

Bille Edmond

Edmond Bille wurde am 24. Januar 1878 in Valangin (Kanton Neuenburg) geboren. Er begann seine künstlerische Ausbildung 1894 an der Ecole des Beaux-Arts in Genf bei Bodmer und Menn.

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