Die Borgne im Winter

Von allen gleichaltrigen Künstlern, die im Wallis gearbeitet haben, ist Joseph Gautschi zweifellos der bescheidenste und unauffälligste. Diese seltenen Eigenschaften widerspiegeln sich in seinem Oeuvre. Sie erschweren gleichzeitig die Aufnahme und das Verständnis seiner Kunst, die nie so bekannt und erfolgreich war wie die eines Chavaz. Und doch sind die beiden zusammen nach Fully gekommen, um Edmond Bille bei der imposanten Ausschmückung der dortigen Pfarrkirche behilflich zu sein. Während aber ihre Walliser Karrieren anfänglich parallel verliefen, zog sich Gautschi später mehr und mehr zurück, ohne jedoch das Malen aufzugeben. 
Die Flucht aus der Öffentlichkeit beeinflusst seine Kunst, die sich durch eine überaus grosse Zurückhaltung auszeichnet. Seine Palette ist ein treffendes Beispiel für seine Diskretion: Sie umfasst keine reinen Farben, sondern eine Skala fein abgestufter Töne. Wäre Gautschi Komponist gewesen, so hätte er Kammermusik geschrieben. 
Ausserdem hat er eine besondere Vorliebe für alltägliche Szenen und anonyme Landschaften. Gautschi geht gern neue Wege. An dem grossartigen Winterbild, das er uns vor Augen führt, muss die Kühnheit der Farbgebung unsere Bewunderung erregen. Es handelt sich um eine Landschaft, die im wahrsten Sinne des Wortes komponiert ist, wie es der Auffassung Félix Vallottons entsprach. Sie ist zwar topographisch genau festlegbar - wer die Ufer der Borgne kennt, vermag den Ort mühelos zu identifizieren-, und die Jahreszeit ist eindeutig charakterisiert, aber die Landschaft und die Atmosphäre sind neu geschaffen. Gautschi geht von zwei realen Gegebenheiten - einem genauen Zeitpunkt und einem bestimmten Ort - aus, transzendiert jedoch seinen Vorwurf und führt ihn in eine einzigartige neue Seinsform über.
 

Gautschi Joseph

Joseph Gautschi wurde am 4. Januar 1900 in Sierning (Österreich) geboren. Er erhielt seine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule von München und absolvierte gleichzeitig eine Lehre als Dekorationsmaler.

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