Pariser Brücke

Das Wallis, das sich heute so gern zu den Seinen bekennt, hat von einem Maler, der am 15. August 1903 in Sitten geboren ist, sogar den Namen vergessen. Dazu ist freilich zu sagen, dass Léonce-Maurice Gaudin in seinem Heimatkanton kaum tätig war. Er ist hier bloss während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar danach in Erscheinung getreten. Damals zeigte er in Sitten seine Werke. An einer dieser Ausstellungen wurde das vorliegende Ölgemälde gekauft. 
Zu Beginn der dreissiger Jahre liess sich Gaudin in Paris nieder, wo er noch heute lebt. Es ist daher keineswegs überraschend, dass ihn die Lichterstadt in seiner figurativen Periode inspiriert hat. Von den beginnenden fünfziger Jahren an bediente er sich nur noch der abstrakten Ausdrucksweise. Damit verlief seine Laufbahn ähnlich wie die eines anderen in Paris niedergelassenen Wallisers, nämlich Fernand Dubuis'. 
Für diese Komposition hat Gaudin ein klassisches Motiv gewählt, denn die Seine und ihre Ufer haben zahlreiche Maler inspiriert. Der Sittener Künstler erliegt jedoch nicht der Verführung durch das Pittoreske. Das einzige Sujet seines Gemäldes ist eine Brücke. Er verleiht dem Bild nicht den Charakter einer allzu ausgesprochenen Schilderung, doch die Einzelheiten, die er wiedergibt, erlauben ihre Identifizierung. Es handelt sich um den Pont-Neuf. Für Gaudin zählen aber vor allem die plastischen Qualitäten des Bauwerks, die er durch den zurückhaltenden Einsatz der Farbe noch stärker herausarbeitet. Die Spannung beruht ganz auf der Komposition mit der leicht aufsteigenden Diagonalen und den Hell-Dunkel-Effekten der Bogenstellungen. Die anderen Elemente - die Gebäude, die Bäume und die Spiegelungen - sind unauffällig und dienen zur Betonung der Brückenformen, die durch die Abgrenzungen, die das milde Sonnenlicht hervorruft, rhythmisch gegliedert werden. Der Lastkahn im Vordergrund spielt auf das Leben und die Wirklichkeit an. Gaudin erweist sich als ein begabter Gestalter. Es gelingt ihm, ein alltägliches Sujet mit sparsamsten Mitteln so umzuformen, dass es dank der Originalität der Wahrnehmung und der Beherrschung des Handwerks bemerkenswert wird.
 

Gaudin Léonce-Maurice

Léonce-Maurice Gaudin wurde am 15. August 1903 in Sitten geboren. Er war Burger von Evolène und holte sich seine Ausbildung 1924-1925 an der Kunstgewerbeschule von Bern und 1928 an derjenigen von Zürich.

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