Porträt von Karl Stäli

Das Porträt ist eine undankbare Kunstgattung. Das Modell ist mit der Behandlung, die ihm der Künstler widerfahren lässt, kaum je zufrieden. Ausserhalb des Kreises derer, die den Porträtierten kennen, hat ein Bild, das sich auf die Charakterisierung einer Person beschränkt, keine Aussicht auf ein langes Leben. Es braucht die ganze Begabung des Malers, um seinem Werk eine Bedeutung zu verleihen, die über den blossen Wert der Ähnlichkeit mit dem Vorbild weit hinausreicht. 
Alfred Grünwald gehörte zur Gruppe der echten Künstler, für die ein Gemälde nach der berühmten Definition des Malers Maurice Denis «mehr ist als ein Streitross, eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote, nämlich seinem Wesen nach eine ebene Fläche, bedeckt mit Farben, die in einer bestimmten Regelmässigkeit angeordnet sind». 
Diese Forderung hat sich Grünwald zu eigen gemacht. Das beweist das angebliche Porträt des alten Mannes mit der dunklen Mütze, den Grünwald mit der Pfeife in der Hand in seinem Atelier Modell sitzen liess. Das Bildnis zeugt wohl vom Bedürfnis nach einem Gegenüber, nach der unentbehrlichen Inspirationsquelle, aber auch vom Schwanken zwischen der Porträtkunst und der reinen Malerei. Die Folge ist, dass sein einziges Motiv zugunsten einer Malerei zurücktritt, in der die Komposition und die Harmonie der Formen und Farben als alleinige Massstäbe gelten. Wir haben diese Sitzung ins Atelier des Malers verlegt, aber nur wenige objektive Gründe stützen diese Behauptung. Doch die Farbflächen mit den unscharfen Konturen, die im Hintergrund eine Art abstrakten Dekor für den fast leibhaft gegenwärtigen Greis mit dem durchdringenden und forschenden Blick bilden, erinnern an Mappen und Leinwände, die an der Mauer einer Malerwerkstatt lehnen. 
Die dargestellte Person ist bekannt. Sie heisst Karl Stäli. Grünwald hat diesen Mann wiederholt als Modell für seine malerischen Experimente verpflichtet. Der Briger Künstler, der 1966 im besten Mannesalter starb, hat durch seine grosszügige und kraftvolle Malerei Leben und Bewegung in die Walliser Kunstszene hineingetragen.
 

Grünwald Alfred

Alfred Grünwald wurde am 3. Juni 1929 in Brig geboren. Von 1946 bis 1949 weilte er in Mailand, wo er am Kunstlyzeum Beato Angelico und an der Brera studierte.

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