Die Mühle an der Sitter
Die Malerei Joseph - genannt Joson - Morands ist nicht über die engen Grenzen seines zwischen Saint-Maurice und Sitten gelegenen Tätigkeitsfeldes hinaus bekannt geworden. Einige wenige seiner Bilder verdienen jedoch mehr als Schweigen und Vergessen. Die Mühle an der Sitter gehört zu der kleinen Gruppe gelungener Werke, die den Dilettantismus und den Selbstzweifel des Malers als bedauerlich erscheinen lassen.
Zu seiner Entschuldigung ist anzuführen, dass das kulturelle Klima jener Zeit dem künstlerischen Schaffen alles andere als förderlich war. In Martinach Maler sein hiess in einer heute nicht mehr vorstellbaren Isolierung arbeiten. Joson Morand hatte immer davon geträumt, das Land zu verlassen, um in Paris Karriere zu machen, führte aber seinen Plan nie aus. Er nahm mit einer Beamtenlaufbahn vorlieb und war nacheinander Leiter der archäologischen Ausgrabungen von Octodurus, Zeichenlehrer am Kollegium von Saint-Maurice und Verantwortlicher für die kantonalen Museen in Sitten. Zum vorliegenden Gemälde hat ihn ein malerischer Winkel der Walliser Kapitale inspiriert. Morand verbindet die Grösse einer glanzvollen Landschaft geschickt mit der Unansehnlichkeit eines zerfallenden Gebäudes. Es besetzt die Mitte des Bildes; die helle Fassade unterstreicht seine Gegenwart und kennzeichnet es als das eigentliche Motiv. Doch der Künstler hat der Verlockung des Anekdotischen widerstanden, denn nichts verrät die wahre Funktion des Gebäudes. Nur der milchige Streifen des kleinen Baches erklärt und rechtfertigt den Titel Die Mühle an der Sitter.
Das Wesentliche spielt sich auf ästhetischer Ebene ab. Morand gerät hier in die Nähe Gustave Courbets, von dem man weiss, dass er diese Gegend besucht hat. Doch es handelt sich um eine stilistische Verwandtschaft. Die naturalistische Beobachtung erfährt eine malerische Umsetzung, die viel freier ist, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Vegetation und der kaum angedeutete Körper der Kirche von Valeria ganz rechts aussen bezeugen diese Absicht. Im Gegensatz dazu sind der Kranz der Berge, die Ruinen des Schlosses Tourbillon und insbesondere die Fassade der Mühle mit grösster Genauigkeit wiedergegeben.
Über dem Ganzen liegt ein klares herbstliches Licht. Morand lässt sich diese Realität nicht entgehen, wie der Schatten des Bäumchens auf der weisslichen Mauer der Mühle beweist. Der Maler schafft keine Komposition, sondern er gibt seine Beobachtung getreu wieder. Er hat Talent, ist aber kein Genie.
Morand Joseph
Joseph Morand wurde am 12. Juni 1865 in Martinach geboren. Er besuchte von 1884 bis 1888 die Kurse der Münchner Kunstakademie und richtete dann in seinem Geburtshaus (dem heutigen Manoir) ein Atelier ein.
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