Dorfwinkel, Lens

Die Künstler, die für das Wallis schwärmten, brachten in ihrem Gepäck bloss die herkömmlichen Formeln und Rezepte mit. Nur selten bewies einer genügend Charakterstärke und Eigenständigkeit, um die Vision, die ihm das in seiner Vergangenheit und Überlieferung verwurzelte Land eingab, auf originelle Art und Weise zu gestalten. Die Anlehnung an revolutionäre Ausdrucksformen wie den Kubismus blieb eine Ausnahmeerscheinung. 
Um so willkommener ist der Hauch von Frische und Kühnheit, der von einer Komposition wie dem von Valentine Métein-Gilliard gemalten Dorfwinkel ausgeht. Die Szene spielt sich wahrscheinlich inmitten des Dorfes Lens ab. Der Kirchturm, der im Hintergrund, in der Ecke oben links, hervorragt, gleicht dem von Lens. Das Dorf zog zu Beginn des 20. Jahrhunderts einige berühmte Künstler an, so den Schriftsteller C.-F. Ramuz und die Maler Auberjonois, Muret und andere. 
Als Valentine im zweiten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts diese Szene festhielt, war sie zusammen mit ihrer Schwester Marguerite die Lieblingsschülerin ihres Vaters Eugène Gilliard. Gemeinsam malten die drei in den Dörfen des rechten Rhoneufers zwischen Lens und Savièse nach der Natur. Ihre Malerei trägt das Gepräge eines gewissen Modernismus.
Gauguin und seine Bretagne haben einer Ausdrucksweise den Weg bereitet, die sich von der allzu getreuen Schilderung der beobachteten Wirklichkeit zu befreien wusste. Der so gewonnene Abstand bemisst sich nach dem Grad der bildnerischen Kühnheit, die sich die Maler fortan erlaubten. In unserem Beispiel zeigt sie sich in den Verformungen, die die Gebäude erleiden, und in der nonkonformistischen Farbenskala, die der Szene, die nicht frei ist von Naivität und Ungenauigkeit, eine besondere Stimmung verleiht. Das Wallis verdankt derartigen Kompositionen ein neues Bild.
 

Métein-Gilliard Valentine

Valentine Métein-Gilliard wurde am 7. Februar 1891 in Genf geboren. Sie stammte aus einer Künstlerfamilie, denn sie war die Tochter, die Schwester, die Schwägerin und die Gattin von Malern und Malerinnen. Sie trat in die Ecole des Beaux-Arts von Genf ein (Kurse ihres Vaters Edmond Gilliard, James Viberts und des Keramikers Elysée Mayor).

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