Julia

In seinen ersten Walliser Jahren hat Chavaz eine besondere Vorliebe für die weibliche Figur an den Tag gelegt. Der Maler, der im Jahre 1940 die Savieserin Julie Luyet geheiratet hat, ist nicht auf die schillernden Effekte der Tracht aus. Er begnügt sich damit, sein Modell vor einem unbestimmten Hintergrund in einer hieratischen und unpersönlichen Pose darzustellen. Ein solches Werk könnte sogar den Eindruck des Unvollendeten und Skizzenhaften hervorrufen. 
In der malerischen Behandlung verzichtet er auf die üblichen Kunstgriffe der zahlreichen Vorgänger, die der Anziehungskraft des Wallis erlagen und sich am liebsten in Savièse aufhielten. Die ethnographischen Einzelheiten interessieren Chavaz nicht; er beschränkt sich auf die bildnerischen Elemente. Die Komposition und eine Palette, die die farbliche Stimmung wiederzugeben weiss, ohne vor massvollen Kühnheiten zurückzuschrecken, offenbaren einen Künstler von echtem Schrot und Korn. Diese Haltung trug Chavaz im Wallis, das noch zäh an seinem Brauchtum festhielt, den Ruf eines Neuerers ein. Er erfasste das wahre Wesen dieses Landes, das zu seiner bevorzugten Inspirationsquelle werden sollte, viel tiefer als seine Vorgänger, die es mit den Augen des Fotografen sahen. So wurde er zu einem modernen Maler, obwohl er sich stets der konkreten figurativen Ausdrucksweise bediente. Doch die einfache und jedermann zugängliche Wirklichkeit, die er durch genaues Beobachten täglich in sich aufnahm, wird durch den bewusst nüchtern gehaltenen Ton seiner Kunst überhöht. Chavaz strebte nach dem Wesentlichen, nach dem Allgemeingültigen. Er verwendete dabei Mittel, die nicht nur seiner Vision angemessen waren, sondern auch dem Geschmack des Publikums entsprachen. Deshalb nahm die Öffentlichkeit seine Kunst spontan und bereitwillig auf und sicherte ihr einen aussergewöhnlich breiten und nachhaltigen Erfolg.
Die Einzelheiten des Gemäldes offenbaren die Macht dieser verklärten Bilder, in denen die Körperlichkeit und die Züge des Individuums zugunsten einer Figur zurücktreten, die eine viel umfassendere Wirklichkeit sichtbar macht. Der Maler trägt die Farbe in Flecken auf und behandelt die Motive, deren sklavische und gewissenhafte Wiedergabe bisher das einzige Gütezeichen war, mit einer damals noch unbekannten Freiheit. In diesem Beispiel tut die Malerei einen entscheidenden Schritt. Sie ist nicht mehr bloss abbildend, sondern andeutend und schöpferisch. Die Lehren Cézannes und des Impressionismus haben Frucht getragen, obwohl Chavaz sie mit der Zurückhaltung befolgte, die seine Kunst stets charakterisiert hat. Auf diese Weise hielt die moderne Kunst im Wallis Einzug.
 

Chavaz Albert

Albert Chavaz wurde am 6. Dezember 1907 in Genf geboren. Er absolvierte in der Bäckerei seines Vaters eine zweijährige Lehre. Von 1927 bis 1932 studierte er an der Ecole des Beaux-Arts in Genf bei Fernand Bovy und Philippe Hainard.

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